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Abgrenzung im Alltag, wie schütze ich mich / Teil2

Gibt es auch als Podcast.

Teil2: Vermeidungsstrategien alleine, sind die Lösung nicht.

Im ersten Teil habe ich die Begriffe Mitteilungsbedürfnis und Aufmerksamkeit aufgegriffen. Wir sind Mitteilungsbedürftige Wesen, weil wir soziale Wesen sind. Solange wir dabei nicht auffällig werden, ist alles in Ordnung. Um in den Überlegungen zum Thema wie ich mich vor Menschen schütze, die mich instrumentalisieren, hilft uns das Phänomen der Aufmerksamkeit weiter. Ich denke die die Meisten haben schon von ADHS gehört. Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung ist eine recht verbreiterte Störung im Kinder- und Jugendalter. Betroffene haben Probleme mit der Aufmerksamkeit, Impulsivität und Selbstregulation. Häufig kommt zusätzlich eine starke körperliche Unruhe dazu. Davon hören wir am meisten, denn diese Kinder erscheinen uns extrem auffällig. ADHS gibt es auch bei Erwachsenen Menschen und wird häufig nicht erkannt. Ganz am Rande; ich erinnere mich bei einer ICD10 Fortbildung mitbekommen zu haben, dass ADHS häufig falsch als eine histrionische Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert wird. Manchmal ist es wirklich sehr schwer zu unterscheiden, weil die Eigenschaften bei Erwachsenen Menschen sich sehr ähneln. Hier ein paar typische Merkmale:

  • Wechselhafte Gemütslage
  • Leicht erregbar bei Stresssituationen
  • Sehr impulsiv
  • Unreflektiertes handeln ohne Ziele

Die Übereinstimmungen passen auf viele anderen Persönlichkeitsmerkmalen oder gar psychiatrische Erkrankungen. Wer würde daran denken, dass ein manischer Käufer nicht eine ausgeprägte Manie haben muss, sondern an ADHS leidet? Aber wozu erzähle ich das alles hier. Ich denke es ist ein Aufruf nicht jederzeit Menschen mit bestimmten Eigenschaften eine Diagnose zu verpassen. Das sollte wirklich den Fachkräften überlassen werden. Erst kürzlich las ich, dass ein Politiker einen anderen Kollegen als narzisstisch gestört bezeichnet hat. Das ist sehr gewagt, aber vielleicht aus der Sicht eines echten Narzissten durchaus gerechtfertigt. Wenn wir besser miteinander umgehen wollen, dann müssen wir mehr auf unser Verhalten schauen und weniger auf das der Anderen. Das heißt nicht, dass wir nicht unsere Mitmenschen beobachten sollen. Im Gegenteil, wir müssen sie sehr genau beobachten, verstehen wie sie ticken und welche Absichten sie verfolgen. Je besser ich sie einschätzen kann, desto eher kann ich mich einbringen und gegebenenfalls schützen. Ich weiß, wie schwierig es ist dabei keine Bewertung im Sinne einer Abwertung vorzunehmen. Jeder von uns tut das mehr oder weniger ganz automatisch. Ob es Vorurteile sind oder auch nicht, ob es sich um Überzeugungen oder um schlechte Erfahrungen handelt, wir bewerten immer. Vielleicht ahnt jetzt mein Leser, worauf ich hinauswill. Warum tun wir das? Richtig, um uns zu schützen!

Vermeidung als Schutzmechanismus

Menschen sind nicht nur Konfliktvermeider, sondern eigentlich Universalvermeider. Vor kurzem habe ich eine Arbeit über Führungskräfte, speziell über die Wahl von Vorstandsmitgliedern großer Unternehmen gelesen. Sie haben die Charaktereigenschaften der unterschiedlichen Mitglieder innerhalb der Vorstände analysiert. Das Ergebnis war wie zu erwarten eindeutig. Mitglieder sind sich untereinander sehr ähnlich innerhalb des jeweiligen Vorstandes. Macht das Sinn? Für die einzelnen Mitgliedern ja, denn das ist äußerst menschlich. Wir suchen immer nach Gleichgesinnten, weil wir uns dabei sicherer und wohler fühlen; wir schützen uns. Für die Unternehmen ist das nicht gut, weil die Diversität fehlt und dadurch sehr viel Kreativität und Entwicklungspotential verloren geht. Diversität bedeutet gleichzeitig Entropie, d.h. Unordnung. Die mögen wir nicht. Um uns weiterzuentwickeln, brauchen wir genau diese Reize. Das gilt für Menschen und Unternehmen gleichermaßen. Das bedeutet, dass wir eine gesunde Mischung aus Ordnung und Unordnung, oder Gleichgesinntheit und Unterschiedlichkeit brauchen. Abgesehen, dass wir nicht immer unbequeme Charaktere vermeiden können, sollten wir versuchen aktiv mit ihnen klarzukommen. Das heisst, nicht nur zu vermeiden, sondern sich der Herausforderung zu stellen. Natürlich nur, wenn wir uns ausreichend schützen können. Also nichts wie ran.

 

Warum sind wir angreifbar

Sehen wir mal genauer hin, was uns angreifbar macht. Ich drehe den Spieß um und frage: was bringt Menschen dazu andere anzugreifen? Teilweise habe ich im ersten Teil Erklärungen geliefert. Um deutlicher zu werden, möchte ich hier ein gängiges Sprichwort erwähnen: „Gib einem Menschen Macht und du erkennst seinen wahren Charakter“ Das ist absolut falsch! Charaktereigenschaften sind durchaus am Setting gebunden. Das bedeutet, dass eine neue Position mit mehr Macht den Charakter ändern kann, vielleicht sogar ändern muss. Ich weiß, dass auch hier von Psychologen, vor allem in den USA, von guten und schlechten Veränderungen sprechen. Genau das verurteile ich. Wertungen sind hier unangebracht. Wer definiert was gut und böse ist? Diese Ansichten stehen uns im Wege, denn wir sind wieder dabei zu verurteilen. Wenn wir verurteilen, sind wir viel angreifbarer, weil wir damit unsere potentiellen Gegner geradezu dazu motivieren uns anzugreifen. Das habe ich in der Physik oder in der Dynamik gelernt: Druck erzeugt immer Gegendruck, denn ohne Gegendruck gibt es kein Druck. Das Prinzip verfolgen wir mit unserer Vermeidungsstrategie, wir entziehen uns jeglichem Druck; zumindest glauben wir das. Wenn es uns tatsächlich gelingt zu 100% zu vermeiden, dann bin ich dafür es zu tun.

Hier ein Beispiel. Ein rechtsradikaler Verschwörungstheoretiker kommentiert ein Social Media Beitrag von mir und beschimpft mich auf übelste Art. Wie soll ich  mich verhalten.

Erste Möglichkeit / Vermeidungsstrategie

Die erste und beste Wahl ist ihn zu ignorieren und eine weitere Kommunikation zu vermeiden. Der potentielle Konflikt wird auf ein Minimum reduziert, idealerweise entsteht er erst gar nicht. Mit der Vermeidung des Konfliktes gelingt es keine Aufmerksamkeit zu erzeugen, denn der Versuch des Verschwörungstheoretikers läuft ins Leere.

 

Zweite Möglichkeit / Deeskalation

Sobald aber irgendjemand sich auf eine Diskussion einlässt, entsteht Gegendruck und schon bekommt der Verschwörungstheoretiker eine Berechtigung weiterzumachen. Er hat die Aufmerksamkeit bekommen, die er sich erhofft hat. Eine Vermeidung ist hier kaum zielführend. Bestenfalls gelingt es dem Angreifer einen Shitstorm auszulösen, dann hat er sein Ziel erreicht – viel Aufmerksamkeit zu bekommen.

Quelle: ElelandVektor: Antonsusi – German version of Graham’s Hierarchy of Disagreement.svg, Gemeinfrei

Bei einem Shitstorm oder eskalierte Konfliktsituation, gibt es aus meiner Sicht eine gute Lösung, die zuallererst versucht werden sollte; die Deeskalation. Man muss versuchen den Teufelskreis der Verhärtung zu durchbrechen und somit zu einer win-win Situation zu gelangen. Es ist von Vorteil, wenn man versteht, welche Interaktionen Konflikte eskalieren lassen. Diese Interaktionen sollte man in der Kommunikation vermeiden. Ich finde das Modell von Graham „Hierarchy of Disagreement“ sehr hilfreich. In einer Pyramide werden sieben Ebenen beschrieben. Beleidigen, Qualifikation, Tonfallbezug, Widerspruch, Gegenargument, Widerlegung und Widerlegen des zentralen Punks.
Mit diesen Informationen kann man zwei wichtige Erkenntnisse über den Stand der Konflikteskalation gewinnen. In welcher Ebene befindet sich mein Gegner und wo stehe ich. Ich finde das Modell genial, vor Allem deswegen, weil es für jede Art von Konflikten anwendbar ist. Wie oft glauben wir bei Auseinandersetzungen im Recht zu sein? Sehr oft würde ich mal behaupten. Ich habe mich schon so oft selber ertappt, dass ich meine Gegner erstmal „Ad Hominem“, also in ihrer Qualifikation angreife und dann eine Widerlegung nachschiebe. Das ist ein Griff in die zweittiefste Schublade, indem man nach einen persönlichen Angriff auf die Person, dann rationale Argumente nachschiebt, um die Beleidigung zu tarnen. Das ist keine Deeskalation, sondern ein fieser Angriff. Dann wundere ich mich, wenn die andere Seite zurückschlägt.

Wichtige Erkenntnis

Aber zurück zur Fragestellung, warum wir angreifbar sind. Weil wir angreifen. Wir müssen es nicht bewusst tun, wir können es subtil oder allein durch unsere Anwesenheit tun. Jetzt stellt sich die Frage, ob ein Angriff auch dann besteht, wenn sich jemand angegriffen fühlt. Ich denke leider ja. Und genau das macht uns so angreifbar, weil wir uns häufig angegriffen fühlen. Wir nehmen alles Mögliche persönlich, beziehen das Meiste auf unsere Person. Jetzt verstehen wir vielleicht besser, warum wir so bedacht sind uns zu schützen.

Wir wollen einerseits beachtet werden, wir sind mitteilungsbedürftig, gleichzeitig sind wir sehr verletzbar und verletzend. Wir haben unterschiedliche Persönlichkeitseigenschaften, wir verhalten uns in Alltagssituationen auch unterschiedlich. Damit umzugehen ist nicht gerade einfach. Im nächsten Beitrag werde ich versuchen Lösungen zu präsentieren mit dem Ziel besser miteinander auszukommen.

Weiter mit Folge3

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