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Ausgedient

Gibt es auch als Podcast //

 

Gestern war ich wieder im Krankenhaus zu einer Untersuchung. Bei der Anmeldung wurde ich gefragt, ob und wie mein Titel aufgeführt werden soll. In Österreich legt man Wert auf Titel. Die Rezeptionistin staunte nicht schlecht, als ich darum bat alles wegzulassen und nur meinen Namen zu verwenden. Dann fragte sie noch, ob ich eine private Zusatzversicherung für ambulante Leistungen habe. Die Vorteile seien: 5 Café umsonst, freie Arztwahl und ein Beutel mit Kosmetikartikel. Da ich ohnehin beim Primarius (Chefarzt) eingeteilt wurde, entschied ich mich nicht weiter auf diese Zusatzoption zu setzten. Danach saß ich, wie so oft und wartete aufgerufen zu werden.

Es ist beklemmend unter gebrechlichen, von Krankheiten gezeichneten Menschen zu warten. Noch beklemmender ist es, wenn du dazugehörst, auch dann, wenn du erst gestern 20 km Langlaufen warst, dich pudelwohl und fit fühlst. Du bist geneigt dich mit ihnen zu vergleichen. Dir sieht man es nicht an, den meisten deiner wartenden Mitbetroffenen schon. Die Abwehrmechanismen tun ihr Werk, sie stärken dein Selbstwert und werten dich auf. Dir geht es besser als den anderen hier, du bist noch voll funktionsfähig und ein vollwertiges Mitglied dieser Leistungsgesellschaft. Die anderen hier haben ausgedient, für die ist das Leben so gut wie vorbei.

Dann höre ich meinen Namen. Der Primarius persönlich kommt aus einer Tür heraus und ruft mich. Ich realisiere am Rande, dass die Rezeptionistin doch meinen Titel notiert hat. Was soll‘s, ich lebe in Österreich. Ich folge ihm in sein Zimmer. Ein Schreibtisch, zwei Bildschirme mit meinen MRT Befunden und meine Krankenakte runden den Eindruck eines Arztzimmers gekonnt ab. Als ich am vorgesehenen Stuhl für Patienten platz nehme, blicke ich in ein mitfühlendes Gesicht. Seine ersten Worte sind ernüchternd: „wie ich sehe, haben sie schon einiges hinter sich.“ Nach etwa 20 Minuten Gespräch, waren wir mit meiner Krankenangelegenheit samt viele Fragen meinerseits durch. Danach sprachen wir noch ca. 15 Minuten über andere, wichtigere Dinge im Leben, die nichts mit meiner Erkrankung zu tun hatten. Das gab mir das Gefühl, dass ich noch nicht ausgedient habe. Die Frage was ich noch vor mir habe, blieb unbeantwortet – besser so – dachte ich mir beim Verlassen des Raumes.

Wenn ich draußen bin und in mich hineinhorche, dann fühle ich mich meistens so, als ob ich ein Jugendlicher wäre. Dieses trügerische Selbstbild stimmt nicht mit der Realität überein. Warum meine Vorstellung so sehr von der Wirklichkeit abweicht, ist mir ein Rätsel. Die Betrachtung und Begegnung von anderen Menschen in meinem Alter und teilweise noch jünger ist in meiner Wahrnehmung verzerrt. Sie kommen mir alle so alt und gebrechlich vor. Besonders stark wird mein Eindruck, wenn ich Sport mache. Ich muss mich tatsächlich immer wieder ermahnen und eingestehen, dass ich zu der fortgeschrittenen Altersgruppe dazugehöre. Ja, auch ich habe ausgedient. Menschen in meinem alter sind meistens nicht mehr Teil einer produktiven Gruppe innerhalb der Gesellschaft. Sie gehören zum alten Eisen und werden ausrangiert. Vielleicht ist das der Grund, warum einige alte Säcke sich mit Händen und Füßen wehren, der Realität ins Auge zu sehen. Es gibt so viele Fälle von alten Herren, die überzeugt sind, sie seien noch voll im Saft. Biden, Trump und unzählige viele alte Kalkleisten, die sich nicht aus den Machtpositionen zurückziehen wollen. Das gilt nicht nur in der Politik, sondern auch in vielen Aufsichtsämtern und Unternehmen. Ist diese Eigenschaft nicht nur deswegen so ausgeprägt, weil wir einem Jugendwahn hinterherrennen? Eines kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Es tut sehr weh sich mit dieser Frage auseinanderzusetzten. Durch meine Erkrankung blieb mir kaum etwas anderes übrig. Früher habe ich mich sehr mit den Schmerzen anderer Menschen beschäftigt. Jetzt erfahre ich Schmerzen am eigenen Leib und Seele. Ich glaube wir werden im Laufe unseres Lebens nicht wirklich auf den Umstand vorbereitet, dass wir früher oder später ausrangiert werden. Es ist wie es ist, lieber Horstl – mach dir nichts vor, du hast ausgedient, wir brauchen dich nicht mehr.

Alte Knacker pennen viel tagsüber, nerven dafür in der Nacht und in der Rush Hour, wenn alle anderen auch Zeit haben 🙂

Nun liegt es nur an dir selbst, wie du dich für den Rest deines Lebens definierst. Ich glaube ich kann noch vieles tun, auch dann, wenn ich nicht mehr gebraucht werde. Ich hoffe auch Gutes! Selbstmitleid ist ein schlechter Begleiter für uns Kalkleisten. Wenn ich dann wieder mit meinen Skates mit 20 Sachen durch die Welt düse, werde ich mich trotzdem jung und dynamisch fühlen. Mein Selbstbild eines gesunden, aktiven Menschen werde ich mir auch beibehalten. Noch bin ich nicht am Ende meiner Geschichte, ich kann noch. Ich arbeite daran, dass es mir egal wird, nicht mehr gebraucht zu werden. Leichter gesagt als getan.

Ich kann gut Erklären und ich kann gut zuhören. Beides muss ich nicht mehr. Wie gesagt, ich kann. Die Frage ist nur, ob es jemand da draußen möchte. Wenn nicht, dann werde ich auch das bewältigen.

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