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Die Ausreden gehen uns nie aus

Gibt es auch als Podcast//

Eine etwas andere Sichtweise von Fürsorge

Gewiss, in jedem Leben gibt es Belastungen, Verluste, schwere Zeiten und kritische Situationen. Sei es die Gebrechlichkeit der Mutter, der Tod oder die Pflegebedürftigkeit eines Familienangehörigen, eine mögliche Arbeitslosigkeit und noch vieles mehr. Wir fühlen uns verpflichtet zu helfen, zu unterstützen und Probleme zu lösen. Mitgefühl zeigen und Hilfestellung geben macht uns menschlich, eine durchaus schöne und wertvolle Eigenschaft. Was ist aber, wenn wir durch unser Pflichtbewusstsein gegenüber den Bedürftigen unsere weiteren Pflichten im Alltag vernachlässigen? Wir fangen an Termine abzusagen, verschieben andere Pflichten, vernachlässigen unseren Job, Freunde und nicht selten auch engste Verwandte. Wie oft werden ganze Familien für eine pflegebedürftige Mutter vergessen, oder ein krankes Kind bekommt wesentlich mehr Aufmerksamkeit als der gesamte Rest der Familie? Es gibt sehr viele Schicksale, die uns straucheln lassen, uns regelrecht aus der Bahn werfen und dadurch gewaltige Auswirkungen auf unser zukünftiges Leben haben. Oft kämpfen wir mit unserem Gewissen, wollen nicht als bösartige Menschen eingestuft werden, wenn wir versuchen unser Leben weiterzuleben. Das schlechte Gewissen plagt uns – nein wir lassen niemanden im Stich? Leider tun wir es doch! Wir lassen vor allem uns und viele andere Menschen im Stich. Endlich haben wir unumstößliche Argumente und schon merken wir, dass wir sehr gute Ausreden haben, um unser Verhalten zu rechtfertigen. Auch hier gilt: uns selbst und anderen gegenüber. Ich möchte hier nicht für Herzlosigkeit und Verantwortungslosigkeit plädieren. Ich möchte eher für beides plädieren und vor Allem für Aufrichtigkeit! Ich kann es mir erlauben Klartext zu reden, denn ich bin ein betroffener Mensch.

Als ich an Krebs erkrankte, stand mir eine langwierige und belastende Behandlung vor. Niemand konnte genau sagen, wie es für mich ausgehen würde. Am meisten machte ich mir um meine Frau Sorgen, weniger um mich. Klar hatte ich Angst. Die Ungewissheit ist ein übler Geselle, der dich wirklich fertig machen kann. Wenn du so eine Diagnose bekommst, dann ist sie da, knallhart und nicht wegzuleugnen. Du weißt nicht was es für dich bedeutet, welche Konsequenzen das auf dein zukünftiges Leben haben wird. Du weißt ebenfalls nicht was es für deine Lebenserwartung bedeuten wird, deine Lebensqualität und wie es überhaupt weitergehen wird. Mit der Zeit realisierst du, dass dir eine sehr schwere, belastende und schmerzhafte Zeit bevorsteht. Danach wirst du, wenn du überlebt hast, realisieren, dass diese Zeit viel schlimmer war, als du es dir jemals hast vorstellen können. Du hast die Wahl. Willst du nur noch für deine Krankheit und deine Angst leben, dich bemitleiden lassen, die ganze Welt über dein Schicksal zwangsbeglücken, ein Buch schreiben, nach Aufmerksamkeit heischen, tiefgreifende Lebenserkenntnisse mittels Selbsterfahrung bekommen oder willst du wieder ein halbwegs normales Leben führen. Ich habe mich für letzteres entschieden. Ich habe mich bemüht, meine Frau so wenig als nötig mit meiner Krankheit zu belasten. Ich wollte erst recht, dass sie ihr normales Leben weiterführt, ihre beruflichen und sozialen Verpflichtungen weiterhin wahrnimmt. Sie war trotzdem für mich da, hat mich unterstützt und mir Mut gemacht. Sie musste teilweise ins Ausland reisen, Termine wahrnehmen, Konferenzen beiwohnen und ihren Job machen. Ich wollte nicht, dass sie Rechtfertigungen und Ausreden vorbringt, um Tag und Nacht mir beistehen zu können. Ich wollte nicht, dass sie erstarrt und hilflos dem Schicksal ausgeliefert war. Um ehrlich zu sein, ich wollte nicht, dass sie sich so verhält, wie es viel zu viele Menschen tun. Anteilnahme und Mitleid sollten nicht in eine Hysterie führen. Ich hasse dieses übertriebene Getue, diese quietschige, appellierende Verhalten wie entsetzlich das Leben nun geworden ist. Warum muss alles so laut und extensiv öffentlich ausgetragen werden. Warum sollen andere Menschen dich und deine engsten Verwandten bemitleiden, dich trösten, dich betütteln und Rücksicht ohne Ende auf dich nehmen? Reicht es nicht eine angemessene Anteilnahme zu erhalten? Muss es immer so übertrieben von Statten gehen? Ich glaube Menschen, die sich so verhalten haben extreme Defizite bei der Bewältigung von Emotionen jeglicher Art; positive und negative. Sie kompensieren das durch eine Verlagerung nach Außen, die ihnen eine hohe Aufmerksamkeit und Mitleid garantieren soll. Niemand verlangt von Direktbetroffenen, dass sie so tun, als ob nichts gewesen sei. Aber soll das ewig so weitergehen? Nein, eben nicht. Irgendwann sollte man lernen selbst damit allein fertig zu werden, wie ich schon sagte, zu bewältigen.

In meinem Leben bin ich zu oft mit derartigen, nichtendenden Appellen konfrontiert worden. Meine Mutter ist so arm dran, sie hat sonst niemand, sie braucht mich; mein Mann ist so gebrechlich, seitdem er krank wurde, ich kann ihn nicht allein lassen; mein Kind macht eine schwere Phase durch, ich kann nicht kommen und muss Absagen; ich weiß ich habe es versprochen, aber…etc., etc.

Ausreden über Ausreden. Ohne dass solche Menschen es merken, übernehmen sie dieses Verhalten auf allen möglichen Lebensebenen in unterschiedlichen Kontexten. Oft suchen sie regelrecht nach Situationen, die es ihnen ermöglichen sich so zu verhalten. Sie bauen sich sogar Abhängigkeitsbeziehungen unter ihren Mitmenschen auf. Was ist daran so schlimm, wird sich manche oder Mancher Fragen? Nun, es ist wirklich eine Katastrophe. Damit sich diese Menschen wertvoll fühlen, ihr eigenes Leben sinn macht, muss es immer andere Menschen in ihrem Umfeld geben, denen es schlecht geht, krank sind oder leiden. Sonst wissen sie nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Was mich speziell anwidert ist, dass sie sich auch noch beklagen, weil sie so böse vom Schicksal bestraft wurden.  Alles nur billige, faule Ausreden und ich kaufe es ihnen nicht ab, dass sie wirklich hilfsbereit und aufopfernd sind. Im Gegenteil, sie sind egoistisch und feige und benutzen leidende Menschen für ihre Zwecke.

Ich möchte mich noch bei meiner lieben Frau bedanken. Sie ist und war immer für mich da. Sie hat diese schwere Zeit durch meine Krankheit mit Bravour gemeistert und mir jede Sekunde beigestanden. Am meisten hat sie mir geholfen, indem sie sich nicht vergessen hat, tapfer ihren Kummer, ihre Ängste und ihr Schmerz auf Augenhöhe mit mir geteilt hat. Sie war mutig, hat sich nicht beklagt und hat niemanden die Ohren vollgejammert. Mir hat das unendlich geholfen, denn sie ist dieselbe Frau geblieben, in die ich mich verliebt habe; stark, zuversichtlich, mutig und handlungsfähig in jeder Lebenslage. Meine schlimmste Sorge, sie würde mit meiner Situation nicht fertig werden, hat sich in Luft aufgelöst. So konnte ich mich ohne Bedenken meinen eigenen Sorgen stellen und Kraft für meine große, bevorstehende Aufgabe sammeln. Was war das nochmals? Ah ja, ein halbwegs normales Leben trotz schwerer Erkrankung zu führen.

Ich gebe meinen Lesern noch zwei kleine Denkaufgaben mit.

Die erste lautet: Wer im Leben sich ständig mit Ausreden behelfen muss, ist unfähig zu trauern und wer angemessen trauert übernimmt Verantwortung.

Bei der zweiten geht es um Vertrauen. Wer seinen Kindern und Lieben vertraut, der sollte es ihnen auch zutrauen und sie bestärken, dass sie fähig sind zu trauern.

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