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Die Stunde der Verfassungsrechtler

Gibt es auch als Podcast

Ostern steht vor der Tür. Es wird für viele Menschen schwer, auf die gewohnte Tradition als Familienfest mit Reise- und Besuchsaktivitäten gespickt, zu verzichten. Vielleicht wird es einigen von uns jetzt erst klar, dass alles anders geworden ist.

Vorgestern las ich auf FB den Bericht eines 80+ jährigen Mannes, der sich über die Sanktionen und der damit verbundenen Isolation beklagte. Seine Aussagen sind verständlich und nachvollziehbar. Er hat großes Lob und Zustimmung für seine Worte erhalten. Er wolle sogar auf eine Intensivbehandlung verzichten, falls ihm was zustoße, aber einsperren, ließe er sich nicht. Ich erntete Kritik, denn ich widersprach seiner Einstellung. Das ist so auf Social Media – manchmal erkenne ich eher ein Muster von einer einheitlichen, emotionalen Gruppendynamik, die nicht bereit ist, introspektiv und sachlich Fragestellungen zu hinterfragen. Es geht mehr um Recht haben, weniger um sich etwas Zeit zu nehmen und darüber nachzudenken, ob man seine Meinung nicht hinterfragen sollte.

Als ich etwas später einen Artikel einer Verfassungsrechtlerin, die Schriftstellerin und Juristin Juli Zeh, in der Süddeutschen Zeitung las, fand ich Zeit, um meine Gedanken zu hinterfragen. Sie geht sehr hart mit der Art und Weise, wie demokratische Regierung mit der Krise umgehen, sieht die Demokratie mit Füssen getreten und behauptet, dass Regierungen zu totalitär und rechtsbrüchig gegenüber den Bürgern vorgehe. Zitat: „Wir werden als Bürger durch die Rhetorik und das Vorgehen in eine wirklich schwierige Lage gebracht. Die allermeisten von uns verstehen, dass es notwendig ist, etwas gegen das Virus zu unternehmen. Man will vernünftig sein, man will auch Solidarität zeigen gegenüber Risikogruppen, man will nicht das gemeinschaftliche Vorgehen torpedieren. Aber vieles von dem, was passiert, erscheint einem unlogisch, überstürzt, undemokratisch.“

Es ist tatsächlich so. Wir sind in einer Zwickmühle. Im Nachhinein werden wir genau wissen, was wir falsch gemacht haben und wie wir es besser hätten machen können. Genau deswegen kritisiere ich solche Aussagen. Sie sind inhaltlich absolut berechtigt und wertvoll. Das anklagende ist allerdings unnötig. Sie implizieren von vornherein Bösartigkeit und bewusste Gesetztes-Überschreitungen als absichtliches, totalitäres Verhalten seitens der Regierungen. Sie unterstellen, dass der Grundsatz, nach bestem Wissen und Gewissen, bewusst außer Kraft gesetzt wird und Bürger*innen für eigene Machtzwecke entsprechend instrumentalisiert und unter Druck gesetzt werden. Nicht alle demokratische Regierungen sind wie die Orban oder Trump Regierung gestrickt. Ich gehe davon aus, dass die intellektuellen Fähigkeiten der meisten Führungen samt Beratungsteams ein höheres Niveau aufweisen als die des gewählten amerikanischen Präsidenten. Daher bin ich geneigt, auch wenn ich kein Anhänger der regierenden deutschen und österreichischen Parteien bin, den Anweisungen zu folgen. Danach, wenn hoffentlich alles wieder vorbei ist, wünsche ich mir und allen anderen Menschen, eine sachliche und nicht schuldzuweisende Diskussion, wie wir in Zukunft solche Katastrophen gemeinsam besser bewältigen können.

Frau Zeh sagt: „Ich glaube ja, dass unsere Demokratie viel stabiler ist, als wir manchmal meinen. Dass sie viel aushalten und sich auch nach heftigen Erschütterungen wieder erholen kann. Deshalb will ich die Hoffnung nicht verlieren, dass wir nach Abflauen der Epidemie zum demokratischen Alltag zurückkehren können. Aber was mir Angst macht, ist die Erkenntnis, wie wenig wir als demokratische Gesellschaft mit Krisensituationen umgehen können.“

In diesem Punkt stimme ich zu 100% NICHT mit ihr überein. Ich befürchte, dass sie und viele andere Menschen die Demokratie überbewerten, ja idealisieren. Seien wir doch ehrlich zu uns selbst. Geld regiert die Welt und Geld ist Macht. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Demokratie rein und mächtig die Interessen aller Bürger*innen vertritt. Sie bemüht sich, aber das war es auch schon. Ich behaupte, dass der Mensch nicht reif genug ist oder schlichtweg nicht fähig ist, der Demokratie gerecht zu werden. Wenn wir wirklich dem gerecht werden könnten, würden wir solidarisch und geordnet gemeinsam an einem Strang zusammen diese Kreise bewältigen. Doch das Ego ist überall; Hamsterkäufe, Maskenklauen, weiter Leistungssport treiben, sich den Empfehlungen anschließen, ich, ich ich und außer mir gibt es wenig. Es sind nicht alle so, aber leider zu viele. Daher braucht es Kontrollen und Sanktionen. Die Demokratie kann in solchen Zeiten nicht ohne undemokratische Maßnahmen gesichert werden. Sie ist die beste Alternative, aber oft überfordert. Die Gefahr für die Menschheit ist der Mensch selbst. Das Virus ist nur ein klitzekleines Störglied, das trotz aller Verluste und Schmerz, viele große Chancen für uns bereitstellt. Es zeigt uns, wie wir miteinander umgehen, wer diese Welt regiert, wie verwundbar wir sind, wie bequem wir in den Tag hineinleben, wie abhängig wir sind, wem wir vertrauen können, …, was wir uns anders wünschen und vor allem – bin ich bereit für mein Leben die Verantwortung zu übernehmen. Ich befürchte es wird wenig geschehen. Ich habe vor einem Jahr in der Krebsstation so viele Krebspatient*innen beobachtet, die weiter geraucht haben. Die Demokratie kann ihnen nicht helfen. Selbstverantwortung schon. Da ist es doch viel einfacher mit dem Finger auf die Schuldigen zu zeigen, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. Manchmal ist es schlichte Bequemlichkeit oder gar zum eigenen Vorteil – alles auf Kosten der Demokratie.

 

 

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