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Rennrad: Kraft alleine ist nicht genug

In diesem Beitrag geht es um etwas Biomechanik für Radfahrer. Harte Übersetzungen zu fahren gilt als Stärke und Coolness. Ich behaupte es ist ein Zeichen von Ignoranz. Es geht darum ein Optimum für die menschliche Anatomie zu finden, um Kraft und Geschwindigkeit in Leistung bestens umzusetzen. Meistens fehlt es an der Geschwindigkeit: als an der Trittfrequenz / Kadenz.

Eine Trittfrequenz zwischen 90 und 110 Umdrehungen pro Minute ist aus biomechanischer und physiologischer Sicht beim Rennradfahren ideal. Eine hohe Tretfrequenz an die Pedale bringt bei gleicher Kraft mehr Leistung. Das geht nur, wenn die entsprechende Koordination trainiert wird, die eine ausreichende Synchronisierung der Muskelgruppen gewährleistet. Ebenfalls müssen mehr Haltekräfte für die Stabilisierung des Rumpfes aufgebracht werden. Nur dann werden optimale Leistungswerte mit über 3,5 W/Kg für normale Athleten machbar.

Diese Tatsache wird von vielen Radfahrern nicht beachtet, denn vor allem im Ausdauersport neigen viele Langstreckenfahrer dazu, mit maximal 70 – 80 Umdrehungen pro Minute zu fahren. Oft gilt es als uncool sein Rad mit großen Kassettenblätter (11/32) und Kettenblätter (50/34) zu bestücken. Ich sehe oft die Supergockel, die (9/26:53/39) aufgelegt haben. Das mag ein Profi beherrschen, niemals ein Amateurfahrer!

Rechnen wir mal ein Bisschen, was das bedeutet. Ich habe einen coolen Ritzel-Rechner im Internet gefunden. Dort kann man mit den unterschiedlichsten Kombinationen die Wirkung berechnen. Als Ergebnis erhält man unter anderem die Maximalgeschwindigkeit und die zurückgelegten Meter pro Kurbelumdrehung in Abhängigkeit der Trittfrequenz.

Wie man sieht, ist eine harte Übersetzung ein ganz anderes Kaliber. Sie ermöglicht bei gleicher Trittfrequenz fast 20 km/h mehr Geschwindigkeit. Die Frage ist was bedeutet das für den Radfahrer, braucht man das wirklich?

Für flache Strecken: Wäre da nicht der Luftwiderstand, dann würde Radfahren viel schneller sein. Die Luft bremst uns am meisten und nimmt mit der Geschwindigkeit quadratisch zu. Der Rollwiderstand ist im Vergleich sehr gering und steigt linear mit der Geschwindigkeit. Ohne Luftwiderstand könnten wir mit 100W 100km/h fahren.

Um mit einem normalen Rennrad auf ebener Strecke ohne Gegenwind 45 km/h zu fahren, braucht man gut 400W Leistung. Ein 80Kg Fahrer müsste eine Dauerleistung von 5W/Kg leisten: also fast ein Profi! Wozu eine Übersetzung, die 80 Km/h ermöglicht? Für Abfahrten vielleicht? Mag sein. Wer mit 80 Sachen ein Berg runterfahren kann, ist schon mutig und leichtsinnig.

Zuerst hatte ich in meinem Beitrag sämtliche Berechnungen aufgelistet, die sich mit der Power und die Trittfrequenz machen lassen. Hier nur die Grundlage für alle Überlegungen

Leistung = Drehzahl * Drehmoment

Wie sich die Drehzahl und das Drehmoment aus der Trittfrequenz und der Kraft berechnet, lasse ich hier weg. Ich denke, dass es kaum jemanden interessiert. In der Kürze liegt die Würze.

Nur eine Berechnung lasse ich, nämlich die für Manfred Nüschler, weil damit die Qualität der Sprinter deutlich wird.

Am 13.05.1991 konnte Manfred Nüscheler auf einem geeichten Rollentrainer 60 Sekunden lang eine Durchschnittsleistung von 1.040 Watt aufrechterhalten. Seine erbrachte Maximalleistung lag bei 2.378 Watt für ca. 3 Sekunden.

Leistung 2378 W
Umdrehungen 271 1/min
Kurbellänge 172,5 mm
Drehmoment 263 Nm
Kraft 1526 N
Druck/ Pedal 156 Kg

Wie ist sowas möglich? Zwei Sachen sind Voraussetzung: gewaltige Kraft mit einer irren Trittfrequenz von 271 U/min. Die Kraft bringen viele Menschen zustande, nicht aber diese Trittfrequenz. Für uns normale Menschen gilt es nicht nur Kraft zu trainieren, sondern vor allem Schnelligkeit! Also sollte  die Trittfrequenz auf ebnen Strecken immer 95 – 110 1/min. betragen. Am Anfang tut man sich schwer damit, mit der Zeit gewöhnt man sich daran.

Eine gute Übung um die Trittfrequenz zu trainieren: bei niedriger Leistung konstant und schön 30 Minuten rund 100 -110 U/min. treten. Wichtig: ruhig sitzenbleiben und nicht auf den SATTEL rumhüpfen. Mit der Zeit Frequenz steigern bis über 150 U/min.

Wie ist es am Berg?

In vielen Beizträgen liest man, dass die optimale Trittfrequenz am Berg  ca. 10 U/min unter der Trittfrequenz auf der Ebene liegt. Ein guter Schnitt sind 75 bis 85 U/min. wird behauptet. Ich teile diese Meinung nicht, weil es physikalisch und biomechanisch falsch ist. Leistung ist Leistung, ganz egal ob am Berg oder auf der Ebene. Der Grund, warum man zu so einer falschen Überzeugung kommt, liegt auf der Hand. Am Berg braucht man viel mehr Leistung, um Geschwindigkeit aufzubauen. Was macht man beim Auto, wenn man den Berg hochfährt? Richtig, SCHALTEN!!! Daher sollte niemand sich schämen mit Kette links, links einer leichten Übersetzung (z.B.: 34/34) hochzufahren. Hauptsache eine möglichst hohe Trittfrequenz beizubehalten. Natürlich ist man viel langsamer, denn man braucht sehr viel mehr Power. Bei Steigungen steigt die Notwendige Leistung je nach Gewicht des Fahrers und der Geschwindigkeit proportional an. Ein Beispiel. Wenn ein 80Kg schwerer Fahrer mit 10km/h eine 10% Steigung hochfährt, braucht er zusätzlich 218W mehr Leistung, als bei gerader Strecke. Mit 65kg sind es nur 177W. Aber Achtung: beide Fahrer brauchen 2,73W/kg mehr. Leichte Fahrer haben trotzdem einen Vorteil am Berg, weil sie eine günstigere Verteilung von aktiver Muskelmasse zum Gesamtgewicht besitzen. Leichte Bergziegen sind eindeutig im Vorteil, wenn es ums Klettern geht.

 

Fazit

Wer effektiv Radfahren will, muss lernen:

  • Trittfrequenz zwischen 90-110 U/min zu halten
  • Kraft und Schnelligkeit trainieren
  • Viel und rechtzeig zu schalten
  • Die richtigen Kassetten und Kettenblätter benutzen
  • Sich nicht von Idioten beeinflussen zu lassen

Erst kürzlich wurde ich von einem Triathlonathleten blöd angemacht, weil ich ein 80-ger Carbonlaufrad mit einer 11/32 Kassette fahre. Klar, Ironmänner neigen dazu, mit ihren Zeitmaschinen mit 60-70 U/min. herumzugurken. Nicht die Profis, die wissen es besser, dafür die breite Masse der Angeber, die sich wahnsinnig toll vorkommen. Die laufen auch beschissen, aber das ist eine andere Geschichte. Also, lasst euch nicht verunsichern und arbeitet an der Trittfrequenz – es lohnt sich diese zu erhöhen!

Wer es nicht glaubt sollte mal die Werte von Filippo Ganna bei seinem Rekord nachlesen. Durchschnittsleistung 550W bei 96 1/min. und das eine Stunde lang. Ergebnis: 56.792km. Ganna wiegt 82Kg; das bedeutet er kann 6,7W/kg eine Stunde lang leisten. Das is wirklich außergewöhnlich. Wer 3 W/kg schafft, ist schon ganz gut unterwegs.

Zum Schluss noch eine weitere Erläuterung für unseren Beispiele der Schaltkonstellationen

Vergleichen wir mal die beiden Fälle bei einer Kadenz von 80 U/min. Hier wird es deutlich warum es für Bergfahrten Fall 1  nicht geeignet ist. Man muss mit der Kadenz sehr weit runter, es sei denn man hat viel Power um mit hoher Geschwindigkeit hochzufahren. Für ein Profi ist es kein Problem eine 10% Steigung mit 15 km/h hochzufahren. Dazu braucht er ca.  4,5 W/kg.
Für mich ist das nicht möglich, denn ich kann auf Dauer ca. 3W/kg Leistung erbringen. Bei solch einer Übersetzung müsste ich mit meiner Kadenz auf 52 U/min. hochfahren, um mit meiner Leistungsfähigkeit (3 W/kg) den Berg mit 10 km/h zu erklimmen. Und hier ist der kritische Punkt: Mit einer Kadenz von 80 U/min. reicht meine Leistungsfähigkeit nicht aus. Meine Kadenz muss ich bei dieser Übersetzung auf 52 U/min. beschränken. Das ist problematisch, denn dazu brauche ich 53% mehr Kraft als wenn ich 80 U/min. kurbeln würde: und das ist für mich kaum möglich. Daher muss ich schneller kurbeln, also brauche ich eher die Bestückung von Fall 2.
Ich hoffe es wird jetzt deutlicher, warum leichtere Schaltkombinationen für die meisten Radfahrer geeignet sind.

 

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