Zum Inhalt springen

Zeit zu vergeben – Zeit zu lieben

Gibt es auch als Podcast

Gestern brachte mich ein Taxifahrer heim. Die Fahrt dauerte lange, da die Strecke auch weit war. Ein junger Fahrer, der für einen Berufsfahrer erstaunlich defensiv unterwegs war. Ich schweige gerne, rede wenig mit anderen Menschen. Ich denke das liegt daran, dass ich im Laufe meines Lebens sehr viel mit anderen Menschen geredet habe. Plötzlich legte er los. Die Aggression auf den Straßen sei seit Corona mega angestiegen, fing er an. Als Berufsfahrer lebe er jetzt extrem gefährlich. Es folgten viele Beispiele aus seiner erlebten Taxipraxis, wenngleich einige mir doch etwas übertrieben vorkamen. Danach hatte er Lösungen für neue Gesetzte, Anweisungen wie Politiker zu handeln haben und am Ende erzählte er voller Inbrunst, wie sich Verkehrsteilnehmer grundsätzlich zu verhalten haben. Rentner dürften nur unter bestimmten Bedingungen Fahren, Fahrräder nur dort wo es Fahrradwege gibt, die Fußgänger müssen jährlich ein Sicherheitskurs absolvieren, damit der Autoverkehr nicht weiter durch rücksichtslose Aktionen von ihnen gestört wird. Natürlich hat er die Roller Skooter, die Kinder, die Jugendlichen, die Schulkinder und die Mütter alle schwer verurteilt. Er als Berufsfahrer sein jeden Abend durch diese Umstände so erschöpft, dass er todmüde ins Bett falle und auch noch schlecht schlafe.  Die Arbeit an sich wäre ja gut und erfüllend. Wenn nur nicht diese blöden Menschen da wären. Ich genoss die Show und betrachtete den Alleinunterhalter etwas genauer. Der Mann war höchsten 40, eher 35 Jahre alt.  Ich überlegte kurz, ob ich mit ihm streiten, seine festgefahrene Meinung in fragestellen soll. Ich entschied mich für das Gegenteil. Ich gab ihm in allen Punkten recht, teilweise forderte ich noch härteres Vorgehen in diesen Angelegenheiten umzusetzen, wie; hohe Strafen für Fahrradfahrer und Fußgänger einzuführen oder Jugendliche periodisch zu Erziehungsmaßnahmen im Straßenverkehr zu verdonnern, ebenfalls für ältere Menschen, die eine Gefahr für die Gesellschaft bedeuten, usw., usw. Als wir 10 Minuten vor dem Ziel waren, sagte ich noch: „endlich jemand der versteht was wir hier in Österreich brauchen und konkrete Lösungen parat hat“. Ich hatte mich so richtig in Rage geredet und der arme Taxifahrer sagte nichts mehr. Er war eher verunsichert, ja vielleicht geschockt über die radikalen Ansichten seines Fahrgastes. Er tat mir ein Bisschen leid. Ich habe ihm nicht nur die Show gestohlen, sondern sogar Angst eingejagt.

Was ist mit uns nur los? Warum schimpfen wir unentwegt aufeinander? Alles was da draußen passiert, geht uns gegen den Strich. Der Taxifahrer hat schon eine richtige Beobachtung gemacht. Wir gehen seit Corona noch aggressiver miteinander um. Wir sind in der Tat gespaltener, fühlen uns bedroht, übergangen und ungerecht behandelt. Wir haben das Gefühl uns wehren zu müssen. Manchmal glaube ich, dass wir immer mehr zu amerikanischen Gepflogenheiten neigen. Ich bin der Gute, ich habe immer Recht, ich bin der Held, der Recht und Ordnung verteidigt, ich bin der Held, der diese kaputte Welt rettet und ich erlöse die Menschheit vom Bösen. Welch bedenklich kranke Art, um die eigene Inkompetenz zu bewältigen. Wir ticken zunehmend nach den Marvel Film-Studios, die mit zahlreichen Superhelden die Welt vor dem Untergang rettet. Gewalt, Rache, Mord und brutale Gewalt, alles in den Diensten der guten Sache. Das Böse ist immer und überall, muss heldenhaft und brutal beseitigt werden!

Wir machen uns was vor. Das Böse sind wir selbst. Begriffe wie, Moral und Ethik scheinen in belastenden Zeiten keine große Bedeutung zu haben. Die Politik wir korrupter, die Verbände samt Funktionären verwerflicher. Die gegenseitigen Schuldzuweisungen nehmen exponentiell zu, das haben sie mit der Ausbreitung der Viren gemein. Ich behaupte, dass der heutige moderne Mensch keine gesunden psychischen Abwehrmechanismen für Krisensituationen erlernt hat. Bedrohliche Belastungen sollten von uns Menschen, mit all unserem Wissen und Erfahrung, persönlich und gemeinschaftlich leicht zu bewältigen sein. Genau das können wir nicht mehr. Wir stehen diesen Krisen hilflos gegenüber, zermürben uns gegenseitig und versagen komplett gemeinsame Lösungen zu finden. Warum haben wir die Verschwörungstheoretiker, die Besserwisser über Impfung, die Taxifahrer, die Gegner, die Stänkerer, die alles in Frage stellen, die Shitstormer, die kranken Plagiatsjäger, die orgastisch nach Fehltritten von Persönlichkeiten fahnden und viele mehr? Geht es ihnen wirklich um konstruktive Kritik? Nein, ihnen geht es um Zerstörung. Sie wollen kaputtmachen. Sie glauben dadurch dem eigenen Schmerz der persönlichen Machtlosigkeit und Unzulänglichkeit zu entkommen. Wir alle werden im Laufe unseres Lebens mehrfach verletzt. Wir alle tragen diese Verletzungen mit uns. Wir alle wurden ungerecht behandelt. Bedenken wir aber auch, dass wir nicht nur Opfer, sondern auch Täter waren! Manchmal bewusst, manchmal ganz unbewusst. Das Ergebnis ist das gleiche, wir haben andere verletzt. Wir haben aber auch vieles mehr im Laufe unseres Lebens geleistet. Wir haben auch geholfen, zugehört, unterstützt, geliebt, verstanden und gelernt.

Der Taxifahrer hat niemanden, der ihn ermutigt sich selber zu verzeihen. Niemand spricht mit ihm, geht auf ihn ein und hört ihm zu. Niemand nimmt seine Worte ernst und versteht seine Not. Niemand versucht ihn zu überzeugen, dass es vielleicht auch andere Wege in seinem Leben gibt. Als ich bezahlte, sagte ich zu ihm: hier sind 50 € für die Fahrt und weitere 50 für dich. Kauf die was Schönes damit und denk an mich. Ich wünsche mir, dass du dir und allen anderen Menschen, die dich verarscht haben, vergibst. Bevor er irgendetwas sagen konnte, stieg ich aus und ging.

 

Prolog

Ist die Welt um uns herum wirklich so, wie wir sie erleben, oder dient sie lediglich als Spiegel unserer Seele? Lässt uns unsere extreme Selbstbezogenheit vereinsamen?

Ich glaube eindeutig ja. Dabei sehnen wir uns nach Liebe und Geborgenheit. Diese bekommen wir nur außerhalb unserer Selbstbezogenheit. Wir haben gelernt uns viel vorzumachen und glauben großartig zu sein. Das meiste tun wir aus der Verzweiflung heraus, um uns hervorzuheben, damit wir geliebt werden. Dabei übersehen wir, dass wir eine einzige Art von Liebe brauchen – geliebt zu werden, weil es uns gibt, nicht weil wir versuchen was zu sein. Dann könnten wir mit einer der größten persönlichen Herausforderungen wesentlich besser umgehen, nämlich, wenn wir nicht geliebt oder sogar abgelehnt werden. Die meisten Menschen, die ich kenne, wollen von allen geliebt und anerkannt werden. Das muss schief gehen und führt zu tiefen seelischen Verletzungen, die wiederum nicht bewältigt werden. Es gibt zu viele liebebedürftige Menschen, die tiefbeleidigt und gekränkt sind, unfähig zu verzeihen und zu lieben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.